Ein Jahr nach dem Anschlag von Berlin traf sich die Kanzlerin mit Hinterbliebenen. Durch Behördenversagen war der Terrorist nicht aus dem Verkehr gezogen worden.
Presseschau – Regensburg – Zwölf Betonstufen mit den Namen der beim Terroranschlag vor einem Jahr auf dem Berliner Breitscheidplatz getöteten Menschen mahnen. Es ist nicht nur die tiefe Trauer um die Opfer und die Verletzten des furchtbaren Lkw-Anschlags, die am Jahrestag bewegen, sondern auch Wut, Zorn und Fassungslosigkeit über das eklatante Versagen von Sicherheitsbehörden, die den potenziellen Attentäter im Vorfeld nicht aus dem Verkehr gezogen haben.
Angela Merkel hat sich gestern mit 80 Angehörigen von Getöteten sowie Verletzten getroffen und ihnen damit – sehr spät – ihren Respekt erwiesen. Für das eklatante Behördenversagen im Fall Anis Amri jedoch gibt es keine Entschuldigung. Die Regierungschefin, die zwar nicht direkt involviert war, trägt zumindest eine politische Mitverantwortung dafür, dass Polizeien und Dienste nicht angemessen kooperiert, dass sie angesichts einer ernsten Gefahr schlicht gepennt haben. Ein solcher Fall darf sich nie wiederholen! Man kann jetzt nur darüber spekulieren, warum sich die Kanzlerin erst zum Jahrestag des Anschlags mit Hinterbliebenen von Todesopfern und Verletzten getroffen hat.
Wollte sie im Wahlkampf etwa kein Treffen, das auch Erinnerungen an die unselige, unkontrollierte Grenzöffnung im Spätsommer 2015 provozieren würde? Zur Ehrenrettung der Kanzlerin sei gesagt, dass sie am Tag gleich nach dem Attentat zum Ort des furchtbaren Geschehens kam. Auch sprach sie im Gedenkgottesdienst ihre Anteilnahme aus. Zur bitteren Wahrheit gehört allerdings auch, dass zum selben Zeitpunkt Angehörige in Berlin zwischen Polizei und Krankenhäusern auf der Suche nach geliebten Menschen herumirrten. Die Krone der Pietätlosigkeit lieferten Berliner Behörden, die Angehörigen die Rechnung für die Obduktion von Toten zustellten.
In höchstem Maße unwürdig war auch die Bürokratie, mit der Hinterbliebene und Verletzte nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Israel, Italien, Tschechien, der Ukraine oder Polen bis heute zu kämpfen haben. Den Hinterbliebenen des Terroranschlags, der der gesamten Bundesrepublik galt, stand nur eine einmalige Härteleistung des Deutschen Bundestages in niedriger Höhe zu. Beschämend gering waren auch die Bestattungskosten, die im Rahmen des sogenannten Opferentschädigungsgesetzes gezahlt wurden. Das gilt auch für die Rentenansprüche. Weil der Anschlag mit einem Lastwagen verübt worden war, konnten zumindest Mittel der Verkehrsopferhilfe in Anspruch genommen werden.
Doch damit können nur unmittelbare Schäden etwas gemildert werden. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass der deutsche Staat nicht für die finanzielle und die logistische Hilfe bei Terroranschlägen gerüstet ist. Die staatlichen Hilfen sind unzureichend. Die allgegenwärtige Bürokratie verschärft diesen beklagenswerten Zustand nur noch. Verwirrend waren zudem die Hektik und Kurzatmigkeit, mit der nach dem Anschlag Gesetze verschärft und an Strukturen herumgebastelt wurde. Zwölf Menschen könnten noch leben und siebzig wären nicht verletzt worden, wenn die Landeskriminalämter in Nordrhein-Westfalen, in Berlin, beim Bund und im Gemeinsamen Terror-Abwehrzentrum ordentlich gearbeitet hätten.
Der Staat hat in einer Sicherheitsfrage, in der es um Leben und Tod ging, bitterlich versagt. Doch bis heute ist keiner der Verantwortlichen in den Sicherheitsbehörden oder in der Politik für Fehlverhalten belangt worden. Es reicht nicht, über immer neue Sicherheitsgesetze zu schwadronieren, wenn die bestehenden nicht eingehalten werden.
Mittelbayerische Zeitung
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